Stressinkontinenz ist eine der häufigsten Formen der Harninkontinenz, die zumeist bei Frauen auftritt und durch körperlichen Stress ausgelöst wird, wie z.B. Husten, Niesen oder körperliche Aktivitäten wie Sport. Sie tritt auf, wenn der Druck in der Blase höher ist als der Verschlussdruck des Schließmuskels der Harnröhre. Dadurch wird der Schließmuskel überwunden und es kommt zu unkontrolliertem Harnverlust. Dies geschieht häufig bei körperlicher Belastung (=Stress) oder wenn der Bauchraum unter Druck gesetzt wird, z.B. durch Husten oder Niesen.
In diesem Beitrag werden wir uns daher eingehend mit den Ursachen, Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten der Stressinkontinenz beschäftigen, um ein besseres Verständnis für diese oft unterschätzte Erkrankung zu schaffen.
Grade der Stressinkontinenz
Wussten Sie, dass es unterschiedliche Grade der Stressinkontinenz gibt, die je nach Schweregrad und Ausprägung der Symptome unterschieden werden? Diese Grade können einen Einfluss auf die Wahl der geeigneten Therapie haben und darüber entscheiden, ob eine konservative Behandlung oder vielmehr eine operative Intervention notwendig ist. Es gibt drei Grade der Stressinkontinenz:
Grad I
Bei Grad I der Stressinkontinenz kommt es nur zu einem leichten Harnverlust, der in der Regel auch nur gelegentlich auftritt. Typischerweise ist der Harnverlust gering, so dass er nicht unbedingt sofort bemerkt wird. Frauen mit Grad I Stressinkontinenz berichten oft von einem leichten “Tröpfeln” oder einem feuchten Gefühl im Schritt.
Grad II
Bei Grad II der Stressinkontinenz kommt es zu einem deutlicheren Harnverlust, der häufiger auftritt als bei Grad I. Der Harnverlust kann so ausgeprägt sein, dass er die Kleidung durchweicht. Frauen mit Grad II Stressinkontinenz haben oft Schwierigkeiten, beim Sport, beim Heben schwerer Gegenstände oder beim Gehen größere Distanzen trocken zu bleiben.
Grad III
Bei Grad III der Stressinkontinenz kommt es zu einem massiven Harnverlust, der bei jeder Form von körperlicher Aktivität auftritt. Frauen mit Grad III Stressinkontinenz sind oft nicht in der Lage, ihre Blase zu kontrollieren, und können sich nicht trocken halten, selbst wenn sie nur aufstehen oder sich bücken. Der Harnverlust ist so schwerwiegend, dass er das tägliche Leben der betroffenen Frauen stark beeinträchtigt.

Die Schwere der Stressinkontinenz wird in der Regel anhand von Fragebögen, urodynamischen Tests oder Untersuchungen des Beckenbodens bewertet. Ein häufig verwendeter Fragebogen zur Bewertung der Schwere der Harninkontinenz ist der International Consultation on Incontinence Questionnaire (ICIQ-SF). Der ICIQ-SF besteht aus acht Fragen, die die Symptome, die Häufigkeit und den Schweregrad der Harninkontinenz bewerten.
Grad der Stressinkontinenz | Beschreibung | Symptome |
Grad I | Geringer Harnverlust bei körperlicher Belastung / Harnverlust bei starker Drucksteigerung im Bauch | Weniger als 10 ml Harnverlust |
Grad II | Mäßiger Harnverlust bei körperlicher Belastung / Harnverlust bei mäßiger Drucksteigerung im Bauch | Zwischen 10 und 50 ml Harnverlust |
Grad III | Schwerer Harnverlust bei jeglicher körperlicher Aktivität / Harnverlust bei sehr schwacher Drucksteigerung im Bauch | Mehr als 50 ml Harnverlust pro Stunde |
vgl. Behandlung bei Inkontinenz Prof. MR DR. Friedrich Gill. https://www.inkontinenz-behandlung.at/belastungsinkontinenz/#:~:text=1.,es%20zu%20einem%20unkontrollierten%20Urinabgang. (Abgerufen 07.02.2025)
Ursachen und Risikofaktoren
Schwangerschaft und Geburt
Stressinkontinenz kann durch Schwangerschaft und Geburt ausgelöst werden, da während der Schwangerschaft das Gewicht des wachsenden Fötus auf die Blase und den Beckenboden drückt und den Beckenboden schwächt. Während der Geburt kann der Druck auf den Beckenboden weiter zunehmen, insbesondere bei vaginalen Entbindungen. Wenn die Beckenbodenmuskulatur nicht stark genug ist, um diesem Druck standzuhalten, kann dies zu Stressinkontinenz führen.

Hormonelle Veränderungen
Hormonelle Veränderungen im Körper können das Risiko für Stressinkontinenz erhöhen. Während der Schwangerschaft führen die erhöhten Hormone Progesteron und Östrogen dazu, dass Muskeln und Bänder im Beckenbereich entspannt werden, um Platz für das wachsende Baby zu schaffen. Dies kann den Beckenboden schwächen. Nach der Geburt kann die verringerte Elastizität des Bindegewebes das Risiko für Stressinkontinenz erhöhen, besonders bei Frauen in den Wechseljahren, wenn der Östrogenspiegel sinkt.
Übergewicht
Übergewicht kann den Druck auf die Blase und den Beckenboden erhöhen, was die Beckenbodenmuskulatur schwächt und das Risiko für Stressinkontinenz steigert. Zusätzlich kann das überschüssige Fett im Bauchbereich die Organe im Beckenbereich belasten und den Druck auf die Blase weiter erhöhen. Übergewichtige Frauen haben zudem ein höheres Risiko für Diabetes, was das Risiko für Blasenprobleme und Inkontinenz weiter steigert.
Alter
Das Alter ist ein wichtiger Risikofaktor für Stressinkontinenz, insbesondere bei Frauen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Elastizität des Bindegewebes im Beckenbereich ab, was den Beckenboden schwächt. Dies kann den Druck auf die Blase erhöhen und das Risiko für Stressinkontinenz steigern. Hormonelle Veränderungen, wie der sinkende Östrogenspiegel bei Frauen in den Wechseljahren, können das Risiko weiter erhöhen, da das Bindegewebe weniger flexibel wird. Auch bei Männern kann das Alter durch Faktoren wie Prostata-Operationen das Risiko für Stressinkontinenz erhöhen.
Genetische Veranlagung
Es gibt Hinweise darauf, dass genetische Faktoren bei der Entwicklung von Stressinkontinenz eine Rolle spielen können. In einigen Familien gibt es eine höhere Prävalenz von Harninkontinenz, was auf eine genetische Veranlagung hinweist. Studien haben spezifische Gene identifiziert, insbesondere solche, die die Kollagenbildung regulieren, und diese mit einem erhöhten Risiko für Stressinkontinenz in Verbindung gebracht. Kollagen ist ein wesentlicher Bestandteil des Bindegewebes im Beckenbereich, und Veränderungen in seiner Produktion können den Beckenboden schwächen.

Andere Faktoren
Andere Faktoren, die das Risiko für Stressinkontinenz erhöhen können und somit berücksichtigt werden sollten, sind körperliche Aktivität, chronischer Husten, Verstopfung und verschiedene neurologische Erkrankungen.
Ursachen und Risikofaktoren bei Männern
Stressinkontinenz bei Männern ist seltener als bei Frauen und kann durch verschiedene medizinische Ursachen bedingt sein. Eine der häufigsten Ursachen ist eine Prostataoperation, die zu Schäden an der Prostata führen kann. Schwäche der Beckenbodenmuskulatur, ähnlich wie bei Frauen, unterstützt durch Faktoren wie Diabetes, Verletzungen oder Übergewicht, kann ebenfalls eine Rolle spielen. Verletzungen des Beckenbodens durch Unfälle oder Sport können auch zu Stressinkontinenz führen. Es ist wichtig, Stressinkontinenz als mögliches Symptom anderer zugrundeliegender Erkrankungen wie neurologische Störungen oder Probleme mit Blase oder Harnröhre zu betrachten.
Behandlung
Konservative Behandlungsmöglichkeiten
Konservative Behandlungsmöglichkeiten sind die erste Wahl bei der Behandlung von Stressinkontinenz und eignen sich vor allem bei einer Grad I oder Grad II Belastungsinkontinenz. Sie umfassen Veränderungen des Lebensstils, Beckenbodenübungen und medikamentöse Therapien und zielen in erster Linie darauf ab, die Beckenbodenmuskulatur zu stärken.
Veränderungen des Lebensstils
Bestimmte Lebensstilfaktoren können die Symptome der Stressinkontinenz verschlimmern oder auslösen. Das Vermeiden von Faktoren wie Übergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum, stark kohlensäurehaltigen Getränken und koffeinhaltigen Getränken kann dazu beitragen, die Symptome zu reduzieren. Es kann auch hilfreich sein, regelmäßig zur Toilette zu gehen und ausreichend Wasser zu trinken.
Beckenbodenübungen
Beckenbodenübungen, auch Kegel-Übungen genannt, können helfen, die Muskeln des Beckenbodens zu stärken und somit die Symptome der Stressinkontinenz zu reduzieren. Diese Übungen können von einer Physiotherapeutin oder einem Physiotherapeuten erlernt werden und sollten anschließend regelmäßig durchgeführt werden.
Medikamentöse Therapie
- Anticholinergika: Diese Medikamente werden zur Behandlung von überaktiver Blase und Inkontinenz eingesetzt, indem sie die Aktivität des Blasenmuskels verringern und die Blasenkapazität erhöhen.
- Alpha-Adrenozeptor-Agonisten: Diese Medikamente können den Tonus des Blasenschließmuskels erhöhen und so den Harnverlust reduzieren.
- Östrogenpräparate: Bei Frauen kann eine Östrogenbehandlung in der postmenopausalen Phase helfen, den Beckenboden und die Schleimhäute im Genitalbereich zu stärken und das Risiko für Harninkontinenz zu reduzieren.
- Duloxetin: Dieses Antidepressivum kann auch zur Behandlung von Inkontinenz eingesetzt werden. Es erhöht den Tonus des Blasenschließmuskels und kann auch die Aktivität des Beckenbodens erhöhen.

Operative Behandlungsmöglichkeiten
Wenn konservative Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichen, kann eine operative Behandlung in Erwägung gezogen werden. Es gibt verschiedene Operationsmethoden, die zur Behandlung von Stressinkontinenz eingesetzt werden können.
Burch-Kolposuspension
Die Burch-Kolposuspension ist eine offene Bauchoperation, bei der die Schambeinfuge stabilisiert wird, indem Gewebe an der Vorderwand der Scheide an das Schambein genäht wird. Dadurch wird die Harnröhre unterstützt und die Symptome der Stressinkontinenz können gelindert werden. Diese Methode kann auch bei gleichzeitig bestehendem Gebärmutterprolaps durchgeführt werden.
Midurethrale Sling-Operation (TVT-Operation)
Die midurethrale Schlingenoperationen sind eine der am häufigsten durchgeführten Operationen zur Behandlung der Stressinkontinenz. Diese Operationen werden in der Regel ambulant unter örtlicher Betäubung durchgeführt und dauern etwa 30-45 Minuten. Bei dieser Methode wird eine Schlinge aus einem synthetischen Material (z. B. Polypropylen) um die Harnröhre gelegt, um die Harnröhre zu unterstützen und zu stabilisieren. Die Schlinge kann durch die Scheide oder durch einen kleinen Schnitt im Bauchraum platziert werden.
Injektion von Bulking-Agents
Bulking Agents sind Substanzen, die in die Harnröhrenwand injiziert werden, um das Gewebe aufzupolstern und dadurch die Schließungsfähigkeit der Harnröhre zu verbessern. Diese Methode wird normalerweise bei Frauen angewendet, die nicht für eine Operation in Frage kommen oder eine nicht-invasive Behandlung bevorzugen. Bulking Agents haben jedoch eine begrenzte Haltbarkeit und müssen in der Regel erneuert werden.
Operative Eingriffe bei komplexen Fällen
In komplexen Fällen, wie zum Beispiel bei einer schweren Inkontinenz oder einer Inkontinenz, die aufgrund einer früheren Operation oder einer Erkrankung wie Multipler Sklerose oder Querschnittslähmung aufgetreten ist, kann eine komplexere Operation erforderlich sein. Hierzu können Blasen- oder Harnröhrenrekonstruktionen oder der Einsatz von künstlichen Harnröhrenventilen gehören.
Vorsorge
Beckenboden-Training
Eines der wichtigsten Dinge, die man tun kann, um die Symptome der Stressinkontinenz zu lindern, ist das Training des Beckenbodens. Der Beckenboden ist eine Gruppe von Muskeln, die den Boden des Beckens bilden und die Blase und den Darm unterstützen. Es gibt viele verschiedene Übungen, die man machen kann, um den Beckenboden zu stärken. Eine einfache Übung besteht darin, die Muskeln zu kontrahieren und dann zu entspannen. Eine andere Übung ist, den Beckenboden aktiv zu halten, indem man ihn zusammenzieht, wenn man zum Beispiel aufsteht oder sich bückt.
Gewichtsreduktion
Übergewicht kann ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Stressinkontinenz sein. Das zusätzliche Gewicht kann Druck auf die Blase ausüben und die Inkontinenz verschlimmern. Eine Gewichtsreduktion kann daher dazu beitragen, auch die Symptome zu reduzieren.
Veränderungen im Lebensstil
Veränderungen im Lebensstil können Stressinkontinenzsymptome reduzieren. Dazu zählen ausreichende Hydratation, die Reduktion koffeinhaltiger Getränke, regelmäßiges Toilettengänge, um Blasenüberfüllung zu vermeiden, und die Vermeidung zu häufigen Urinierens. Eine Kombination aus medizinischen Behandlungen und Lebensstiländerungen kann die Lebensqualität verbessern.
Schlussfolgerung
Stressinkontinenz, auch Belastungsinkontinenz genannt, tritt auf, wenn körperliche Aktivitäten wie Husten oder Heben zu ungewolltem Urinverlust führen. Dies beeinträchtigt oft die Lebensqualität erheblich. Ursachen sind unter anderem Schwächung des Beckenbodens durch Schwangerschaft, Geburt und hormonelle Veränderungen sowie bei Männern Prostataoperationen und Beckenverletzungen. Die Behandlung reicht von Beckenbodentraining über Medikamente bis hin zu operativen Eingriffen, abhängig vom Schweregrad der Inkontinenz. Frühzeitige professionelle Beratung kann helfen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.