
Dr. Bärbel K.
1. Seit wann arbeitest du im Bereich des psychosozialen Case Managements und was hat dich dazu motiviert in diesem Bereich zu arbeiten?
Vor der Gründung von care-for-you war ich fast 30 Jahre im österreichischen Gesundheitssystem tätig. Dabei fiel mir auf, wie schnell Patient:innen und ihre Angehörigen nach einer lebensverändernden Diagnose überfordert sind. Unser Gesundheitssystem ist zwar gut, aber auch sehr komplex, insbesondere aufgrund der nicht immer optimalen Zusammenarbeit zwischen dem Spitals- und dem niedergelassenen Bereich, den unterschiedlichen Krankenkassen und regionalen Lösungen.
Daher habe ich 2022 care-for-you gegründet, um in dieser herausfordernden Situation direkte Unterstützung zu bieten. Weitere Informationen zu unserem Angebot kann man auf unserer Website finden: https://care-for-you.at/.
2. Was bietest du im Rahmen von care-for-you genau an, und welche Erfahrungen haben dich am meisten geprägt?
Wirklich geprägt hat mich meine geliebte Schwiegermutter, die meine erste „Klientin“ war. Sie erhielt unerwartet eine schnell fortschreitende Diagnose, und ich durfte viel von ihr lernen. Ich kümmerte mich um alles – von Terminen über Arztbesuche bis hin zur Organisation wichtiger Gespräche mit der Familie. Dabei fiel mir auf, dass sie oft Dinge leichter mit mir besprach als mit ihren eigenen Kindern. Das zeigt, wie oft Betroffene ihre Angehörigen vor belastenden Gedanken schützen wollen, was zu einer gewissen Einsamkeit führen kann.
Diese Erlebnisse führten schließlich zur Idee, dieses Service professionell anzubieten. Im Rahmen von care-for-you biete ich zwei Leistungen aus einer Hand, die in dieser Form in Österreich einzigartig sind:
- Psychosoziale Beratung
Eine schwere Diagnose löst oft Ängste und Unsicherheiten aus. Betroffene und ihre Angehörigen brauchen professionelle, empathische Begleitung, um mit den neuen Herausforderungen umzugehen. - Case Management
Nach einer Diagnose müssen viele organisatorische Dinge erledigt werden. Als Case Managerin plane, organisiere und koordiniere ich alles, was notwendig ist -von Arztterminen bis hin zur Pflegegeldbeantragung. Manchmal sind auch unkonventionelle Aufgaben erforderlich, wie die Betreuung eines Hundes während einer Chemotherapie.
Manchmal erkläre ich es so: Ich bin die professionelle Tochter oder Schwiegertochter, die man sich vielleicht wünscht.
3. Wie bist du dazu gekommen, freiberuflich tätig zu sein?
Im österreichischen Gesundheitssystem gibt es erste Ansätze von Case Management, beispielsweise im Entlassungsmanagement in Spitälern. Allerdings fehlt es hier oft an einer kontinuierlichen Begleitung, die auch evaluiert und angepasst wird, während sich die Situation der Patient:innen verändert. Diese Lücke können Angebote wie das Entlassungsmanagement nicht abdecken.
Da Angebote oft nur innerhalb der „Zahlergrenzen“ existieren – die Krankenkassen übernehmen Kosten im niedergelassenen Bereich, während Spitäler von den Bundesländern finanziert werden – entschied ich mich, mein Angebot als Privatleistung zu etablieren. Ich begleite meine Klient:innen über alle Systeme hinweg und passe das Angebot individuell an ihre Bedürfnisse an. Ich arbeite aufsuchend, weil es für meine Klient:innen oft einfacher ist. So kann ich direkt vor Ort sehen, wo es in der Betreuung noch Probleme gibt, und es ist der geschützte Raum, in dem sich Klient:innen am wohlsten fühlen.
Mein Angebot ist eine Privatleistung (€120,- /Einheit), und leider gibt es derzeit keine Kostenerstattung durch die Krankenkassen.
4. Du arbeitest in engem Kontakt mit verschiedenen Gesundheitsdienstleistern. Wie wichtig ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit in deiner Arbeit und was könnte noch verbessert werden?
Die Zusammenarbeit in diesem Bereich ist entscheidend! Es ist wichtig, ein belastbares Netzwerk zu haben, das man den Klient:innen zur Verfügung stellen kann. Partner:innen müssen einen Ansatz vertreten, den man selbst mittragen kann, und eine hohe Qualität bieten, auf die man vertrauen kann. Daher freue ich mich besonders, in HeldYn eine so zuverlässige Netzwerkpartnerin gefunden zu haben. Danke, dass ihr immer so spontan und unbürokratisch für meine Klient:innen da seid.
Verbesserungspotential gibt es immer! In Österreich müssen wir aufhören, zu sehr in Berufszugehörigkeiten zu denken. Das behindert oft eine effektive Zusammenarbeit. Mit den knappen Ressourcen im Gesundheits- und Sozialbereich werden wir uns diese Denkweise langfristig nicht mehr leisten können.
5. Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Freude? Gibt es einen speziellen Moment oder ein Erlebnis aus deiner Karriere, das dich besonders berührt oder verändert hat?
Wir sind in unserem Gesundheitssystem darauf geprägt, uns auf Defizite zu konzentrieren – sofort nach einer Diagnose wird uns bewusst, was „jetzt alles nicht mehr geht“. Viel spannender ist es, sich auf die vorhandenen Ressourcen zu konzentrieren und gemeinsam mit Klient:innen daran zu arbeiten, wie man Dinge ermöglichen kann, damit manches doch noch geht.
Einmal ist mir mit einem Klienten etwas gelungen, das mir ewig in Erinnerung bleiben wird. Mein Klient hatte eine schnell fortschreitende Tumorerkrankung und war sehr geschwächt. Er hatte einen kleinen Sohn im Vorschulalter und ein Abendritual, bei dem er ihm eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas. Eines Abends ging das nicht mehr… er hatte keine Kraft mehr zum Vorlesen. Das war ein großer Schock für ihn. Wir erarbeiteten, dass es ihm bei diesem Ritual vor allem um Nähe, Geborgenheit und Ruhe ging. So kam die Idee, dass der Sohn ihm das Lieblingsbuch vorliest. Am nächsten Tag wurde ich von einem strahlenden Klienten empfangen. Es war einer seiner letzten Tage.
6. Welche Ressourcen oder Fähigkeiten hältst du für besonders wichtig, wenn es darum geht, Klient:innen durch das oft komplexe Gesundheitssystem zu navigieren?
Fachliches Wissen ist natürlich grundlegend, aber ein gutes Netzwerk ist das wichtigste Werkzeug eines Case Managers. Das muss man sich erarbeiten. Man muss hinausgehen, sich für das System interessieren, Neuheiten und Limitationen kennen, Veranstaltungen besuchen und sich trauen, Hilfe zu suchen. Kommunikation ist dabei entscheidend. Ich stelle meinen Klient:innen nicht nur mein Know-how, sondern auch mein Netzwerk zur Verfügung.
Wichtig ist auch, dass man gegenüber den Klient:innen nicht kluge Ratschläge erteilt, sondern gut zuhört, nachfragt und mit der Haltung des „Nicht-Wissens“ und der „Neugier“ arbeitet. Wir (Berater:innen) wissen nicht, was für unsere Klient:innen am besten ist, sie sind die wahren Expert:innen für sich selbst. Dabei muss man einen Raum bieten, den man auch halten kann. Mitleid ist nicht hilfreich, Mitgefühl hingegen schon.
Ein bisschen Lebenserfahrung, sowohl Höhen als auch Tiefen, ist sicher von Vorteil. Es hilft, sich der eigenen Endlichkeit bewusst zu sein und sich mit dieser auseinanderzusetzen.
7. Was tust du, um dich von den emotional und mental belastenden Aspekten deiner Arbeit zu erholen? Was machst du in deiner Freizeit?
Ich schaffe es sehr gut mich daran zu erfreuen was gelingt. Das ist wahrscheinlich das größte Geschenk, das ich aus meinem Job bekommen habe: es hat meine Sichtweise auf die Welt verändert, weg von dem, was nicht (mehr) geht, hin zu dem was (noch) geht. Oft kann man den Ausgang einer Krankheit nicht oder kaum beeinflussen – der Verlauf ist wie er ist – mal erfreulich und ein andermal eben nicht ganz so – aber was man beeinflussen kann, ist der Weg dorthin. Diesen möglichst gut zu gestalten ist eine wahnsinnig schöne Aufgabe!
Meine Ausbildungen der letzten Jahre und meine Erlebnisse in der Begleitung meiner Klient:innen haben mich stark beeinflusst. In meiner Freizeit genieße ich die schönen kleinen Augenblicke des Lebens: Bewegung in der Natur mit unserem Hund, einen schönen Theaterabend, ein Blick aufs Wasser/auf einen See, ein Gläschen Wein mit meinem Mann, ein gemeinsames Essen mit unseren Söhnen, einfach die ganz normalen wunderschönen Augenblicke!